Das Foto vom nackten Mädchen, das schreiend vor einem Napalm-Angriff flüchtet, wurde zu einem Symbol für die Schrecken des Vietnam-Krieges. Die heute 37-jährige Kim Phuc muss noch immer mit der Bürde dieses Symbols leben.
Kims Verletzungen, die physischen wie die psychischen, sind bis heute nicht zur Gänze verheilt, werden es wohl nie mehr sein. Kim erwähnt es – und geht sogleich weiter, zu dem, was sie, mittlerweile eine 37-jährige Mutter von zwei Söhnen und kanadische Staatsbürgerin, heute als eine ihrer vorrangigen Aufgaben ansieht: Als Botschafterin des guten Willen, zu der sie die UNESCO vor drei Jahren ernannt hat, in allen Erdteilen für eine Kultur des Friedens einzutreten und im Rahmen der von ihr selbst gegründeten Kim-Stiftung Kindern zu helfen, die Opfer von Kriegen geworden sind.
„Ich trage heute weder Hass noch Bitterkeit in meinem Herzen. Ich möchte den Menschen nur nahe bringen, wie falsch es ist, Krieg zu führen“, erklärte sie jüngst in London anlässlich der Präsentation ihrer Biographie „Das Mädchen auf dem Foto“.
Nachdem bereits mehrere Dokumentarfilme zum Thema erschienen waren, zeichnet die Autorin Denise Chong nun erstmals in einem Buch (Denise Chong, The Girl in the Picture, Simon & Schuster UK Ltd., London 2000) Kim Phucs Weg nach – von der Kindheit im Ort Trang Bang nordwestlich des damaligen Saigon – heute Ho Chi Minh-Stadt – bis zu Kims heutigem Leben in Kanada, wohin sie und ihr Mann sich im Oktober 1992 absetzten, weil, wie Kim in London erneut betonte, „ich Freiheit haben wollte….Ich wollte selbst über mein Leben entscheiden“. Und weiter: „Ich wollte ein normales Leben führen.“
Es ist ein Satz, der so oder ähnlich formuliert, immer wieder kehrt, im Buch, in Reden,
in Interviews. „Ein normales Leben“ – darunter stellte sich Kim Phuc, bei allen Entbehrungen im Nachkriegs-Vietnam und allen körperlichen Beschwerden, unter denen sie noch lange nach ihrer Entlassung aus Spital und Rehabilitationsklinik litt, die Chance vor, an die Universität zu gehen, eine Studienrichtung zu wählen (es war zunächst Medizin) und dieses Studium in Ruhe absolvieren zu können. Stattdessen wurde sie vom kommunistischen Regime zum Vorzeigeopfer erkoren, musste Medienvertretern aus aller Welt Interview um Interview geben, nach außen die eine, Hanoi genehme Wahrheit präsentieren und für sich mit der eigenen Wahrheit zurechtkommen, so gut sie konnte. Und die hieß: Verstoßung von der Universität, weitgehender Bruch mit den Eltern, nachdem sie sich in ihrer Hoffnungslosigkeit dem Christentum zugewandt hatte, ein Leben von der Hand in den Mund und kein Geld mehr für die schmerzstillenden Mittel, ohne die sie auch mehr als ein Jahrzehnt nach dem Napalmangriff kaum auskam.
Einer glücklichen Fügung und dem eigenen, aus der Verzweiflung erwachsenen Mut verdankte es Kim, dass sie sich Mitte der 80er-Jahre persönlich an den damaligen Premier Pham Van Dong mit ihrem Hilferuf wenden konnte: „Bitte, halten Sie die Journalisten von mir fern“. Dong hörte ihr zu, und Hanoi beschloss, sie ins Bruderland Kuba an die Universität von Havanna zu schicken. Ohne jegliche Spanischkenntnisse, musste Kim nicht nur ein weiteres Mal ganz von vorne anfangen. Ihr Leben blieb, auch wenn sie vorerst keine Medienvertreter mehr treffen musste, vom Regime bestimmt.
Kim hatte keine Aussicht auf die Freiheit, nach der sie sich sehnte. Langsam reifte in ihr der Entschluss sich abzusetzen. In die USA wollte sie zunächst, Kanada, über das sie damals so gut wie nichts wusste, wurde es, einfach aufgrund der Umstände. „Ich wollte entkommen“, sagt sie. Und: „Niemand sollte mich als ‚das‘ kleine Mädchen auf dem Foto kennen“.
Letzteres ist sie freilich auch im Westen geblieben, wird sie, wie ihre Biographin Denise Chong schreibt, „für immer bleiben“.
Brigitte Voykowitsch ist freie Journalistin mit Schwerpunkt Süd- und Südostasien. Sie lebt derzeit in London.
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